Forschungsschwerpunkt Kultur, Alltag, Politik


Aktuelle Forschungsprojekte


Abgeschlossene Forschungsprojekte

Personen: Walter Leimgruber, Katrin Sontag

Research Database 

The project studies current transformations of citizenship in the frame of cities, focusing on Montreal and Brussels. Both cities are multi-lingual and feature a long and multifaceted history of migration. And both cities are situated in settings of multilayered citizenship regimes. These regimes consist ofsupra-national organizations, like the EU or Commonwealth, the national level, as well as sub-state nations, federal entities, and the urban level, which grant different opportunities and rights to different people (such as voting rights). 

“Urban citizenship” as key concept in this study focuses on concrete negotiations, practices and contestation of citizenship – also in the case of absence of formal citizenship. The project analyzes (1) forms, understandings, and practices of urban citizenship and (2) its relation to the multiple layers of citizenship regimes, as well as (3) the effect on social cohesion and participation and possibilities to better frame citizenship institutionally on an urban level.

The project is conducted in cooperation with Prof. Dr. Matteo Gianna at the Department of Political Science and International Relations at the University of Geneva. It seeks to combine theoretical and methodical approaches from Political Science and Political Philosophy with those from Cultural Anthropology in the study design, research and analysis. Moreover, it seeks to develop policy suggestions on a comparative level.

Kooperation mit der HGK der FHNW (Michael Renner, Professur für Visuelle Kommunikation)

Wissenschaftliche Projektleitung: Ina Dietzsch

Mitarbeiterinnen: Susanne Käser, Silvia Balzan, Aylin Yildirim Tschoepe  

Projekt in der Forschungsdatenbank

Dieses Projekt agiert im Rahmen eines Netzwerkes aus Architektur, Bilddesign, Stadt- und Designanthropologie. Im Zusammenhang mit Stadtentwicklungsprozessen in Basel wird der Frage nachgegangen, wie sich mit den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen Veränderungen in Bezug auf Kulturtechniken ergeben und welche neuen Spielräume für Kommunikationspraxis sich dabei eröffnen. Die designanthropologische Perspektive des Projektes fokussiert vor allem auf die Offenheit und partielle Unbestimmtheit von Visualisierungen, die dazu auffordern Bedeutungen zu interpretieren und zu verhandeln. Im Vordergrund steht die Praxis, in der Bilder entstehen und eine Bedeutung bekommen. Visualisierungen unterschiedlichster Art werden dabei als Aushandlungsraum – Sehen, Produzieren, Deuten, Verändern als komplexe intersubjektive Vorgänge sowie als variable und hochselektive Weisen der Welterschliessung verstanden.

Projektleitung: Prof. Dr. Jacques Picard

Projektmanagement: Lic. phil. Angela Bhend

Projekt in der Forschungsdatenbank

Das vorliegende Projekt hat den „Jüdischen Kulturraum Aargau“ im Sinne einer Reaktualisierung des materiellen und immateriellen Kulturerbes im Kanton Aargau als Wissensraum in der Gegenwart zum Gegenstand. Dieser Wissensraum soll in seiner Vielfalt unterschiedlichen Ansprechgruppen zugänglich gemacht werden. Dazu soll eine wissenschaftsbasierte Publikation bereit gestellt werden, die einerseits bestehende oder noch zu leistende Forschungen in einem Überblicksband vereint, andererseits mit einer gut sortierten Darstellung sich an ein allgemein gebildetes und interessiertes Publikum adressiert.

Bewusst zu halten ist, dass der Aargau nicht an der Kantonsgrenze aufhört. Der jüdische "Wissensraum Aargau" hat historisch und kulturell auch Bezüge in topografische wie imaginäre Räume ausserhalb des engeren Gebietes Aargau – mithin bis New York und Tel Aviv oder in Romanen und Bildern von Kulturschaffenden. Im Mittelpunkt steht indes auch der geografische Raum des Kantons.

Von erheblicher Bedeutung ist das Leitbild der Repräsentation: Es geht um die Koexistenz – genauer: das alltägliche Zusammenleben, die Konvivenz von Menschen aus jüdischen, christlichen und bürgerlichen Lebenswelten. Die Repräsentation von Konvivenz bezieht sich ebenso auf die dörflichen Untertanen in der Gemeinen Herrschaft der alten Eidgenossenschaft wie auch auf deren schrittweise Verbürgerlichung auf dem Weg in die Moderne. Diese Konvivenz wird unter anderem auch im geplanten Kapitel "Doppeltür" zum Ausdruck kommen, womit sich eine Vielzahl von lebensweltlichen Aspekten und Polyvalenzen einfassen lassen werden.

Das geplante Buch wird einen deutlich multidisziplinären Charakter erhalten. Beteiligt sein werden Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen wie Geschichte, Archäologie, Judaistik, Kunstgeschichte, Architekturgeschichte, Literaturwissenschaft, Musikwissenschaft, Kulturanthropologie und Sprachforschung.

Das Publikationskonzept geht von sechs Buchteilen aus. Eingesetzt wird als Auftakt mit einem gegenwartsorientierten Teil, der den Titel „Im Aargau, aus dem Aargau: Zeichen und Zeugen einer vielschichtigen Zeit“ trägt; am Ende wird dieser Bogen geschlossen, indem dieses nochmals zitiert und aufgenommen wird: „Jüdischer Kulturraum Aargau: Zeiten, Zeichen und Zeugen Reloaded“. Dazwischen werden Epochen und Zeiten mit thematisch entsprechenden Titeln aufgespannt, wissenschaftlich beleuchtet, inhaltlich problembewusst präsentiert und in Überblicken veranschaulicht, wofür vier Buchteile vorgesehen sind. Anhand unterschiedlicher Textformate, die unterschiedlichen Funktionen dienen, soll die Vielfalt des Sammelbandes auch in seiner formalen Struktur gewährleistet werden. Durch Überblickskapitel sollen historische Epochen als Ganzes vorgestellt werden, durch Themenüberblicke speziellere Fragen verständlich gemacht werden. Mit Streiflichter und Essays kommen besonders interessante Themen und Befunde in den Vordergrund. Schliesslich werden durch Porträts Menschen und individuelle Biografien, die auch Familienschicksale umfassen können, lebendig.

Projektdauer: Januar 2016 – Dezember 2018

Gefördert durch den Kanton Aargau, Swisslos-Fonds

Personen: Christina Besmer, MA und PD Ina Dietzsch

Projekt in der Forschungsdatenbank

„Medienwelten und Alltagsurbanität“ beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Medienpraxen und alltäglichem städtischen Leben. Wir gehen davon aus, dass städtischer Alltag von den verschiedensten Medientechnologien durchdrungen ist und Medien die Art, wie Stadt gedacht, gemacht und gelebt wird, beeinflussen. 
Städte entstehen durch Zuwanderung – sei es vom Land oder über nationale Grenzen hinweg, und der städtische Alltag ist geprägt von Mobilität – sei es durch Pendelbewegungen in die und aus der Stadt, innerstädtische Mobilität oder das Zusammentreffen von sesshaften und mobilen Bewohner_innen. Besonders interessiert uns die damit verbundene Transkulturalisierung urbaner Räume: Infolge einer Intensivierung und Diversifizierung von Mobilitäten zeichnet sich städtischer Alltag heute mehr denn je durch eine Vielfalt transkultureller Zugehörigkeiten, Alltagspraxen und Medienwelten aus. Vor diesem Hintergrund erforschen wir, wie eine wachsende kulturelle Diversität der Quartierbevölkerung sowie eine Globalisierung medialer Angebote Stadtquartiere und deren Kommunikationsstrukturen verändern. 

Schlüsselbegriffe: Medialität, Migration, Urbanität, Raumforschung, Transkulturalisierung, Super-Diversität

Laufzeit: 1.1.2013 – 31.5.2016

Finanzierung: SNF

Methoden: öffentliche Anthropologie, Medienethnografie, Wahrnehmungsspaziergänge, Medientagebücher, mental maps, qualitative Interviews

Personen: Dr. Karoline Oehme-Jüngling, Dr. des. Fanny Gutsche, Dr. des. Patricia Jäggi

Projekt in der Forschungsdatenbank

Das Forschungsprojekt untersucht die Konstruktion und Vermittlung von "Swissness" mittels (Volks-)Musik. Im Zentrum des Forschungsprojekts steht die "Sammlung Dür" – ein zwischen 1957 und 1967 vom Musikwissenschaftler Fritz Dür im Auftrag von Schweizer Radio International (SRI) als musikalische Visitenkarte der Schweiz zusammengestelltes Konvolut von zirka 8.000 Tonbändern mit "Schweizer Volksmusik", das 1987 in die Schweizer Nationalbibliothek überführt wurde. Die Leitfrage des gesamten Projektes ist diejenige, wie und vor welchen gesellschaftlichen wie institutionellen Hintergründen sich volksmusikalisches Schaffen mit der Institution Rundfunk zu einer wirkmächtigen Stimme zur Verbreitung von – klingender – Swissness etablieren konnte. 

Das Projekt ist interdisziplinär angelegt und untersucht die klingende Dimension von populärer Kultur von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart aus musikforschender und aus kulturanthropologischer bzw. ethnomusikologischer Perspektive. Der analytische Zugriff auf das von allen Projekten gemeinsam bearbeitete Material orientiert sich an der Frage nach der akustischen Konstruktion einer "Stimme der Schweiz" – durch die Fixierung auf Tonträgern, was gleichzeitig stilbildend wirkte, durch die Zusammenstellung zu einem nachhaltig und während längerer Zeit genutzten Klang-Korpus, was zugleich kanonisierend wirkte und schliesslich durch die Vermittlung über das Hörmedium Rundfunk, was die Bildung einer eingängigen Vorstellung von akustischer Swissness anregte. Drei eng miteinander verzahnte Teilprojekte an drei Schweizer Hochschulen erforschen diese Verhandlungen um "Volksmusik" im Rundfunk: Teilprojekt A) an der Hochschule Luzern/Departement Musik analysiert die Volksmusikszene der 1950er und -60er Jahre und aus musikforschender Perspektive die klanglich-musikalische Seite des Repertoires. Das kulturanthropologische Projekt B) am Institut für Populäre Kulturen der Universität Zürich untersucht die institutionelle Seite der Entstehung wie der Überlieferung und des „Überlebens“ der Sammlung Dür in ihren sozialen, kulturellen, politischen und ideengeschichtlichen Kontexten sowie die akustische Repräsentation von Swissness. Teilprojekt C) am Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie der Universität Basel untersucht aus ethnomusikologischer Perspektive die Nutzungen der Sammlung und ihre Rezeption als "Stimme der Schweiz" im In- und Ausland. 
Die Sammlung Dür wurde unter der Vorgabe von SRI, die "Stimme der Schweiz" zu sein, durch den Leiter der Sonothek Fritz Dür aus den Beständen der einzelnen Radiostudios wie durch "Live-Aufnahmen" in der ganzen Schweiz zusammengetragen. Sie wurde von den 1960er bis in die 1990er Jahre für den inländischen (Telefonrundspruch) und namentlich den ausländischen Sendebetrieb, aber auch für weitere Zwecke, u. a. für die SRI-Musikedition "Musica Helvetica", genutzt. Der Bestand (sowohl was die Musik- als auch was konventionelle Archivalien betrifft) bildet die zentrale Materialbasis des Projekts und ermöglicht die Bearbeitung der drei aufeinander abgestimmten Forschungsfragen und -perspektiven. Der Synergieeffekt von "Broadcasting Swissness" liegt denn auch genau darin, Klänge/Musik nicht entweder um die sinnlich-akustische oder aber um ihre soziokulturelle Kontexteinbettung reduziert zu erforschen, sondern unter musikalisch-performativen, ebenso wie institutionspolitischen und rezeptionsästhetischen Gesichtspunkten zu untersuchen. Damit trägt das Projekt nicht nur zur Analyse eines bisher ungeschriebenen Kapitels der Geschichte der traditionellen populären Musik in ihrem Einlassen auf die „Kulturindustrie“ sowie zur kritischen Auseinandersetzung mit der akustischen, institutionell forcierten Konstruktion von "Swissness" bei, sondern nimmt zugleich auch die Herausforderungen einer modernen, disziplinenübergreifenden Kulturwissenschaft auf. Nicht zuletzt werden die Ergebnisse des Projekts nicht nur in den üblichen wissenschaftlichen Formaten, sondern auch in nicht-diskursiven Formen vermittelt: unter anderem durch eine Hörplattform, eine Notenpublikation, insbesondere aber auch durch die Zugänglichkeit über die Hörstationen der Nationalphonothek und die Aufnahme der digitalisierten Sammlung in der Memoriav-Online-Datenbank "Memobase" wie durch eine Medienpartnerschaft mit der SRG, womit die Forschungsergebnisse in auch unterschiedlich aufbereiteter Form einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. 

Laufzeit: 1.12.2012 - 30.11.2015

Finanzierung: SNF

Claudia Wilopo, MSc Urban Studies

Duration : 1.9.2016 – 1.3.2021

Supervisor: Prof. Walter Leimgruber (Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie, Universität Basel), Co-Supervisor: Prof. Doris Wastl-Walter (Geographisches Institut, Universität Bern)

Project in the research database

Being irregularly present in the country is unlawful under Swiss law and therefore limits the possibilities for political, social, and economic participation in society. 

Nevertheless, irregular migrants - also referred to as undocumented, illegalised or sans-papiers - engage in practices of contestation that challenge their exclusion from society. These practices involve everyday visible strategies such as sit-ins, demonstrations and occupations, as well as hidden tactics of navigating the city to avoid imprisonment and deportation. Defining these practices as ‘acts of citizenship’ opens up possibilities of a more dynamic and inclusive approach to the idea of citizenship that is not limited to national membership, but can be deployed at various sites and scales. 

Understanding the urban space as a site where struggles and processes of allocation and appropriation of rights and citizenship take place, this research analyses how ’acts of citizenship‘ challenge irregular migrants‘ legal statuses and how these acts can be seen as their claim to a ‘right to have rights’ all while constituting themselves as political subjects. 

This empirical research is based go-alongs, cartography, interviews and participant observation in the city of Zurich. The objective of is to; firstly, gain more insight into the everyday lives and acts of citizenship of irregular migrants, secondly, to gain better understanding of theoretical approaches that connect urban space and migration, and thirdly, to show how irregular migrants practices of contestation allow for a new conceptualisation of urban citizenship. It seeks to develop an interdisciplinary ethnographic approach to studying their acts of citizenship, and to contribute to ongoing debates in the field of cultural anthropology, urban geography, sociology, and critical citizenship studies that challenge the ideas of the traditional notion of the nation-state, citizenship, citizenship rights, and irregular migrants as politically powerless.

Keywords: irregular migrants, urban space, practices of contestation, acts of citizenship, urban citizenship

Julian Genner, Dissertation (2015)

Projekt in der Forschungsdatenbank

Ausgehend vom Fallbeispiel des "Nacktscanners" untersuchte das Projekt den Aufstieg neuer Überwachungs- und Sicherheitstechnologien seit dem Jahr 2000. Dabei zeigt sich, dass der Einsatz und die Entwicklung dieser Technologien auf ein neues Verständnis von Sicherheit zurückzuführen sind, das das bestehende Verhältnis von innerer und äusserer Sicherheit bzw. das Verhältnis von militärischen und zivilen Bereichen infrage stellt. Zusätzlich wird Sicherheit als ein Problem verstanden, das sich durch den Einsatz neuer Technologien bewältigen lässt. Dies ermöglicht die Verbreitung und Vermarktung vormals militärischer Technologien wie der "Nackstscanner" in der zivilen Sphäre und im öffentlichen Raum.

Schlüsselbegriffe: (Un-)Sicherheit, Überwachung, Datenschutz, Privatsphäre, Globalisierung

Methoden: ExpertInnen-Interviews, teilnehmende Beobachtung (u.a. in einem Physiklabor), Recherchen (u.a. zu Sicherheitspolitik, Lobbyismus und Regulierungsprozessen)

Uta Karrer

Supervisor: Walter Leimgruber, Co-Supervisor: Johannes Moser (LMU München)

Projekt in der Forschungsdatenbank

Inwieweit hat sich die Systemgrenze, die Europa bis 1989 teilte, nicht nur politisch, sondern auch kulturell ausgewirkt? Dieser Frage widmet sich die Dissertation anhand der Diskursanalyse eines bislang wenig beachteten Aspekts der Repräsentation und Konstruktion des östlichen Europas: Publikationen und Ausstellungen so genannter polnischer „Naiver Kunst“. Sowohl in der Volksrepublik Polen als auch in der Bundesrepublik Deutschland erfreute sich polnische „Naive Kunst“, die mit Überschneidungen auch als „sztuka ludowa“ („Kunst des Volkes“) bezeichnet wurde, zwischen den 1960er bis in die 1980er Jahre starker Popularität. In einem ersten Schritt stellt das Dissertationsprojekt die politische Förderung und Funktionalisierung der „sztuka ludowa“ in der Volksrepublik Polen dar. Anhand postkolonialer Ansätze (Bhabha 1994) werden daraus entstehende Widersprüchlichkeiten und Konsequenzen aufgezeigt. Ein zweiter Schritt legt dar, welche Selbst- und Fremdkonstruktionen sich in Sammlungen und Präsentationen polnischer „Naiver Kunst“ in der Bundesrepublik Deutschland manifestierten. Die Analyse zeigt auf, dass Polen in einem Grenzbereich Europas verortet und ambigue, zugleich als kulturell und zivilisatorisch entfernt, dargestellt wurde. Die Konstruktion von Polen als im Unterschied zum westlichen Europa nicht industrialisiertem, naturnahen Ort, in dem ländliche Leben als authentisch aufgefasste Kreativität in Form von Polnischer „naiver Kunst“ hervorbrachte, wurde verbunden mit der Zuschreibung wirtschaftlicher und kultureller Rückständigkeit. Des Weiteren argumentiert die Dissertation, dass die in Publikationen und Ausstellungen zentral thematisierte Schuldfrage bezüglich des Zweiten Weltkrieges kombiniert und ersetzt wird durch die Inanspruchnahme einer helfenden und kulturtragenden Rolle als Zivilisationsträger.

Daniel Kunzelmann 

Betreuer: Prof Dr. em. Jacques PicardProf. Dr. Johannes Moser

Projekt in der Forschungsdatenbank

Hard- und Softwaretechnologien dringen immer tiefer in unsere Lebenswelt ein. Die soziale Vernetzung entlang digitaler Infrastrukturen generiert besondere Kommunikationsräume, die wir als „online-offline“ oder „hybrid“ bezeichnen können. Welche Folgen haben diese neuartigen sozio-technologischen Felder des Politischen für unsere Demokratie? Meine Forschung analysiert diesen „politischen Cyberspace“, die sich verändernden Handlungspraxen der Akteure und die Auswirkungen auf institutionell tief verwurzelte gesellschaftliche Werte jeweils exemplarisch auf lokaler Ebene: in Deutschland, Spanien und Israel. 

Wie reorganisiert sich demokratisches Handeln in Zeiten des digitalen Wandels? Das ist die forschungsleitende Frage dieser Arbeit. Um eine empirisch fundierte Antwort darauf zu geben, werden drei konkrete sozio-technologische Felder des Politischen an drei lokalen europäischen Schauplätzen on- und offline analysiert. Ob traditionelle demokratische Parteipolitik, partizipatorische Öffnung von Verwaltungen („Open Government“) oder basisdemokratischer Graswurzel-Aktivismus: Die digitalen Infrastrukturen und die damit verbundene soziale Vernetzung generieren neuartige Kommunikationsräume in einer Vielzahl politischer Felder. Ziel der Forschung ist es deswegen, mit Hilfe qualitativ sozialwissenschaftlicher Methoden ein möglichst breites Spektrum cyberpolitischer Handlungspraxen zu untersuchen, um Grenzen, Widersprüche und Potenziale vernetzten politischen Handelns in zunehmend digitalisierten demokratischen Gesellschaften als kulturelles Phänomen besser zu verstehen.

  • In Deutschland wird das hybride online-offline Aushandeln von Politik am Beispiel einer politischen Partei erforscht; das ethnographische Feld liefert die Piratenpartei in München.

  • In Spanien werden die cyberpolitischen Praxen im Netz und mit Hilfe von Netztechnologien innerhalb einer politischen Bewegung untersucht: die „Democracia real YA“ in Murcia.

  • Und in Israel liegt der Fokus auf dem Entstehen und Wirken eines digital vernetzten öffentlichen Raumes in der Stadtpolitik: „City for All“ in Tel Aviv.

    Der Mangel an ethnographischen Studien zu diesem Themenkomplex legt ein Grounded-theory basiertes Forschungsdesign nahe (vgl. Corbin/Glaser/Strauss), das einen spannenden Einblick in gesellschaftspolitisch und demokratietheoretisch relevante Phänomene unserer Zeit ermöglichen dürfte. Kulturanthropologisch gilt es zu verstehen, welche politische Kultur in Feldern entsteht, in denen sich digital vernetzte Individuen explizit das Ziel gesetzt haben, das Denken von und Handeln in Demokratie gemeinsam neu zu gestalten. Wie verändern sich Stil, Sprache und Performanz des Politischen? Inwiefern transformieren die symbolisch-materiellen Technologien (Hard- und Software) die sozialen Beziehungen politischer Akteure? Wie werden demokratische Werte und Normen entlang cybertechnologischer Infrastrukturen kulturell ausgehandelt? Wie Teilhabe, Repräsentation oder Mitbestim- mung in der Praxis neu verhandelt? Lassen sich alternative direktdemokratische Formen der Interessenregulierung beobachten? Ermöglichen digitale Technologien überhaupt eine „Kultur“ nachhaltiger politischer Entscheidungen?

Bereits dieser Fragekomplex macht deutlich: In den drei zu untersuchenden Feldern geht es nicht um Technologie-an-sich, sondern um deren Anwendung in der politischen Alltagspraxis als Technikkulturen und Kulturtechniken – um das techno- logisch-demokratische Aushandeln sozialer Wirklichkeit. Kulturelle Werte wie...

  • Transparenz (z.B. von Entscheidungsprozessen),

  • Macht (z.B. bindende Entscheidungen zu treffen),

  • Öffentlichkeit (z.B. als Instrument demokratischer Kontrolle),

  • Anonymität (z.B. bei geheimen Wahlen)

  • oder Privatheit (z.B. in Form informationeller Selbstbestimmung)

    ... dürften in den drei empirischen Fällen nicht nur eine jeweils neuartige kultur- technische Prägung aufweisen, als politische Werte stehen sie stets auch in einem potentiellen Widerspruch zueinander. Definiert man Politik ganz allgemein als ein Spannungsverhältnis aus Konflikt und Konsens und versteht man politische Kultur konzeptionell als einen historisch-konkreten Modus der Praxis, der letztlich unvermeidliche Wert-Widersprüche auf eine je spezifische Art und Weise symbolisch und materiell organisiert (z.B. das Verhältnis von Transparenz und Anonymität), dann wird deutlich, dass es im Dissertationsprojekt keineswegs nur um die positiven Potentiale digitaler Technologien gehen kann. Es gilt auch zu untersuchen, inwiefern cyberpolitische Praxen die dominierende politische Kultur im jeweiligen Fallbeispiel herausfordern: durchaus konfliktreich, bisweilen fundamental? Welche Spannungen und Widersprüche entstehen unter den im öffentlich-politischen Raum versammelten Menschen, wenn diese neuartigen sozio-technologischen Praxen auf bisher dominierende, institutionell tief verwurzelte demokratische Handlungsmuster treffen? Und welche kreativen Strategien existieren, um das Aufeinanderprallen unterschied- licher kultureller Sinnlogiken im politischen Alltag zu bewältigen?

    Mein Forschungsvorhaben stellt folglich die Frage nach den gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Dynamiken digitaler Kommunikationstechnologien: Wie wird Demokratie in Zeiten des digitalen Wandels (re-)organisiert und wie sind Menschen als handelnde Subjekte in diese Transformationsprozesse einbezogen bzw. davon betroffen?