Erzählte Begutachtung. Die Aktenfigur der kinderpsychiatrischen Beobachtungsstation in der biografischen Auseinandersetzung

Die Einsicht in die eigenen Akten erleben Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und administrativen Versorgungen oft als einschneidendes Erlebnis, vor allem wenn sie in den Unterlagen abwertende Aussagen über ihre Person und ihre Familie vorfinden.Sie werden mit ihrer «Aktenfigur» konfrontiert, das heisst mit einem Bild der eigenen Person, das von den damals begutachtenden Fachleuten konstruiert wurde.Im Fokus meiner kulturanthropologischen Dissertation stehen lebensgeschichtliche Interviews mit Personen, die als Kinder in den 60er- und 70er- Jahren zur Begutachtung in die zürcherische kinderpsychiatrische Beobachtungsstation Brüschhalde eingewiesen wurden und die über sie angelegten Akten Jahrzehnte später eingesehen haben. Ich untersuche, wie diese ehemaligen kinderpsychiatrischen PatientInnen ihre Begutachtung erzählen und zentriere dabei die Frage nach den narrativen Bewältigungspraktiken von Betroffenen in der Auseinandersetzung mit ihrer Aktenfigur. Die «erzählte Begutachtung» der Betroffenen werte ich unter Beiziehung der Analyse ihrer Akten anhand der Grounded Theory und narrationsanalytischen Ansätzen aus. Mein Ziel ist es, darzulegen, dass es Betroffenen über das Erzählen gelingen kann, ihre eigene Identität herzustellen, zu aktualisieren und auch zu verändern. Das Erzählen weckt das Potential identitätsstiftender Selbstermächtigung im Gegensatz zur Aktenfigur, die als unveränderlich erscheint.

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