
Materialität
Materielle Kultur, Moden, Museen und Archive
Materialität: Materielle Kultur, Moden, Museen und Archive
Der Forschungsschwerpunkt Materialität verbindet Gegenwart und Geschichte, Universität und Museum, theoretische Reflexion und kreative Kulturarbeit. Er empfiehlt sich für alle, die Freude an wissenschaftlicher Analyse und deren Vermittlung in öffentlichkeitswirksamen Formaten haben.
Materialität meint keinen abgegrenzten Gegenstandsbereich, sondern eine besondere Perspektive auf Kultur. Der Blick richtet sich auf Dinge, die selbst von Menschen erzeugt werden (Artefakte), aber auch auf Vorgefundenes, das in Prozesse menschlichen Handelns und Reflektierens eingebunden wird. Materielle Kultur braucht den "langen Blick" (Aleida Assmann). Anders als bei Sprache und Texten kann ihre Wahrnehmung nicht auf fest gefügte Lektüreordnungen zurückgreifen. Sie wird auch nie vollständig gelingen, weil immer ein Unbekanntes, sprachlich nicht Vermittelbares bleibt. Und genau hier liegt die Faszination einer Analyse von Dingwelten, die sich Mobiltelefon und Fahrrad, Müllplatz und Museum, Onlineshop und Flohmarkt, Brot und Bier, Rucksack und Kelly Bag, Kleingarten und Wohnküche gleichermaßen zuzuwenden vermag. Denn es geht immer darum, Kultur und Gesellschaft über ihre Materialisationen zu untersuchen und zu verstehen.
Studienschwerpunkt: Kulturanthropologie der Kleidung und der Mode
Der Studienschwerpunkt wendet sich Kleidung und Mode aus Vergangenheit und Gegenwart zu. Zugrunde liegt ein weiteres Verständnis von Kleidung, das materielle, visuelle und sprachliche Formen berücksichtigt und keine Grenze zieht zwischen Haute Couture und populärer Kultur. Kleidung und Mode wird umfassend als "body technique" (Jennifer Craik) verstanden. Deshalb gehören Accessoires ebenso zur Welt der Mode wie Make-Up oder Körpermodellierungen durch Sport, Ernährung oder Medizin. Die Analyse beginnt mit dem konkreten Objekt und erfasst Materialien und Silhouetten, Farben und Dekore. Danach wird Kleidung als Praxis des Sich-Kleidens in den Blick genommen, die Bedeutungen produziert und kommuniziert.
Exkursionen in Archive und Museen zeigen die Vielfalt von Kleidung. Wahrnehmungsübungen sensibilisieren für Materialien und Herstellungstechniken. Schreib- und Präsentationstrainings schulen berufsbezogene Vermittlungskompetenzen.
Verantwortliche Ansprechpartnerin: Ulrike Langbein
Weitere Beteiligte: Walter Leimgruber, David Bozzini, Eberhard Wolff, Uta Karrer, Beate Weinhold
Dissertationen
Die Dissertation von Beate Weinhold zum Umgang mit "Heiligem". Eine Untersuchung der Lehren und Praxen von monotheistischen Religionen mit materiellen Kulturgütern widmet sich einem aktuellen Problem an der Schnittstelle von Kulturanthropologie, Volkskunde und Religionswissenschaft sowie Judaistik. Ein besonderes Merkmal von Religion als Paradigma umfassender Wirklichkeitsbetrachtung und -bewältigung ist es, dass sie die dem Menschen zugängliche Wirklichkeit als von einer anderen Wirklichkeit getragen erfährt, die sich als Geheimnis und Heiliges, als Transzendentes und Unfassbares und gegenüber dem menschlichen Zugriff Unverfügbares kundtut. Die der Wirklichkeit des Heiligen entsprechende Grundhaltung des homo religiosus ist die der Ehrfurcht, der Verehrung, der Bundestreue und der religiösen Scheu. Für diese Ambivalenz religiöser Erfahrung stehen Begriffe wie das „Numinose“ und das als „Mysterium fascinosum“ und „Mysterium tremendum“ Bezeichnete. Wie nun aber in säkularen Gesellschaften ein kultureller Umgang gefunden wird, um mit dem "Heiligen" in Gestalt von Büchern, Gegenständen, Räumen oder Riten als materielle und immatrielle Güter zurecht zu kommen, steht im Zentrum der Dissertation. Dies soll an Beispielen untersucht werden, so u.a. an heute verlassenen Synagogen und Genisafunden, die in Deutschland geborgen und inventarisiert wurden. Generell fragt die Untersuchung indes auch nach dem Umgang mit solchen Artefakten in den Religionen selbst. Wie wird mit nicht mehr benutzten/benutzbaren Gegenständen umgegangen? Gibt es religionsübergreifende Invarianten, beziehungsweise Differenzen hinsichtlich der Ablagepraxis? Existieren in den offiziellen Lehren und Praxen der einzelnen Religionen spezielle Verhaltensnormen für den Umgang mit diesen Objekten? Hat die Volksfrömmigkeit der jeweiligen Religion unabhängig von der Existenz oder Nichtexistenz normativer Regelwerke einen eigenen Verhaltenskodex im Umgang mit heiligen Dingen entwickelt?
Betreuer: Prof. Dr. em. Jacques Picard
Abgeschlossene Forschungsprojekte
<link de personen ulrike-langbein internal link in current>Dr. Ulrike Langbein, Leonie Häsler, M.A., <link de personen laura-hompesch internal link in current>Mag. Laura Hompesch
Das Forschungsprojekt wird in Zusammenarbeit mit dem Institut Experimentelle Design- und Medienkulturen der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW sowie dem Amt für Kultur, Archäologie und Museum Baselland durchgeführt.
Kooperationspartner_innen:
- Prof. Dr. Claudia Mareis (Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Gestaltung und Kunst)
- Prof. Tina Moor (Lucern University of Applied Sciences and Arts)
- Hauptabteilung Archäologie und Museum Baselland: Dr. Reto Marti (Leiter Amt für Kultur) und lic. phil. Saskia Klaassen-Nägeli (Leiterin Sammlungen)
Pressespiegel Hanro-Sammlung:
- NZZ: "Was die Unterwäsche verrät"
- SRF: "Die Welt anhand der Unterwäsche verstehen"
- TagesWoche: "Der Wertewandel als Wäschewandel"
- Basellandschaftliche Zeitung bz: "Dreijähriges Projekt will die Hanro-Unterwäsche erforschen"
- Basler Zeitung: "Wertewandel in der Wäsche"
- Volksstimme: "Mehr als ein 'Hauch von Nichts'"
- SDA: "Dreijähriges Forschungsprojekt beleuchtet Hanro-Sammlung in Liestal"
Uni-Talk in Liestal: Der modellierte Mensch: Kleidung als kulturelle Praxis, 26.9.2019, 19:00, Kantonsbibliothek Baselland, Emma Herwegh-Platz 4, Liestal
Abgeschlossene Dissertationen
Die Dissertation von Leonie Häsler (Universität Basel/Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW) untersucht den Entwurfs- und Produktionsprozess in der Textil- und Bekleidungsindustrie und verortet sich zwischen Designgeschichte, Medienwissenschaft und materieller Kultur.
Der Entwurfsbegriff hat sich in den letzten Jahren zunehmend von dem Design- und Architekturkontext gelöst. So lässt sich beobachten, dass Verfahren des Entwerfens, Modellierens, Konstruierens und Improvisierens auch jenseits der Designpraxis und -forschung auf grosses epistemologisches und methodologisches Interesse stossen.
Bereiche der Wissenschaftsgeschichte und Medientheorie verstehen das Entwerfen und die damit einhergehenden Materialien, (Medien-)Techniken und Werkzeugnutzungen als konstitutiv bei der Erkenntnisproduktion. Anders ausgedrückt: der Aufzeichnungsakt – physisch oder digital –, exterritorialisiert Wissen nicht lediglich, sondern bringt es überhaupt erst hervor. Entwerfen ist gleichermassen Kulturtechnik und epistemische Praxis. Das Dissertationsprojekt greift diesen Diskurs auf, rückt ihn jedoch wieder in den industriellen Kontext.
Die Arbeit gründet auf Archivquellen der ehemaligen Schweizer Strickereifabrik „HANRO“, anhand derer erstens beantwortet werden soll, welchen Logiken und Parametern das industrielle, auf Serienproduktion ausgerichtete Entwerfen folgt. Dies wirft Fragen zum Verhältnis von Kreativität, Mathematik und Technologie auf. Wie transformiert sich das Verständnis des Entwurfs im Fabrikgefüge?
Zweitens fragt das Projekt retrospektiv, wie sich der ephemere Entwurfsprozess im Archiv materialisiert. Dies betrifft einerseits die Zeit, als Hanro noch aktiv produziert und archiviert hat. Welchen Stellenwert nimmt die Dokumentation und Archivierung der Entwurfsunterlagen ein im Vergleich zum Werbe-, Presse- und Verwaltungsarchiv? Andererseits interessiert sich die Arbeit für die Bedeutungsverschiebungen des Archivs als Gedächtnisort, das sich inzwischen in Hand eines Museums befindet.
Jedes Kapitel ist nicht nur mit einem Raum innerhalb der Fabrik verknüpft, den der Entwurf durchlaufen hat, es zeigt auch die Perspektive der meist weiblichen Mitarbeiterinnen, die am Entwurf beteiligt waren. Interviews mit ehemaligen Angestellten bilden hierfür die empirische Grundlage.
Ziel der Arbeit ist eine Archäologie des industriellen Entwerfens, die sowohl eine Genealogie des Entwurfsprozesses beschreibt als auch die Materialität und Medialität des Archivs in Augenschein nimmt.
Betreuung der Dissertation:
<link de professuren professur-walter-leimgruber>Prof. Dr. Walter Leimgruber, Prof. Dr. Markus Krajewski, Prof. Dr. Claudia Mareis
Inwieweit hat sich die Systemgrenze, die Europa bis 1989 teilte, nicht nur politisch, sondern auch kulturell ausgewirkt? Dieser Frage widmet sich die Dissertation anhand der Diskursanalyse eines bislang wenig beachteten Aspekts der Repräsentation und Konstruktion des östlichen Europas: Publikationen und Ausstellungen so genannter polnischer „Naiver Kunst“. Sowohl in der Volksrepublik Polen als auch in der Bundesrepublik Deutschland erfreute sich polnische „Naive Kunst“, die mit Überschneidungen auch als „sztuka ludowa“ („Kunst des Volkes“) bezeichnet wurde, zwischen den 1960er bis in die 1980er Jahre starker Popularität. In einem ersten Schritt stellt das Dissertationsprojekt die politische Förderung und Funktionalisierung der „sztuka ludowa“ in der Volksrepublik Polen dar. Anhand postkolonialer Ansätze (Bhabha 1994) werden daraus entstehende Widersprüchlichkeiten und Konsequenzen aufgezeigt. Ein zweiter Schritt legt dar, welche Selbst- und Fremdkonstruktionen sich in Sammlungen und Präsentationen polnischer „Naiver Kunst“ in der Bundesrepublik Deutschland manifestierten. Die Analyse zeigt auf, dass Polen in einem Grenzbereich Europas verortet und ambigue, zugleich als kulturell und zivilisatorisch entfernt, dargestellt wurde. Die Konstruktion von Polen als im Unterschied zum westlichen Europa nicht industrialisiertem, naturnahen Ort, in dem ländliche Leben als authentisch aufgefasste Kreativität in Form von Polnischer „naiver Kunst“ hervorbrachte, wurde verbunden mit der Zuschreibung wirtschaftlicher und kultureller Rückständigkeit. Des Weiteren argumentiert die Dissertation, dass die in Publikationen und Ausstellungen zentral thematisierte Schuldfrage bezüglich des Zweiten Weltkrieges kombiniert und ersetzt wird durch die Inanspruchnahme einer helfenden und kulturtragenden Rolle als Zivilisationsträger.
Supervisor:<link de personen walter-leimgruber internal link in current>Walter Leimgruber
Co-Supervisor:Johannes Moser (LMU München)
Uta Karrer promovierte in Kulturanthropologie/Europäischer Ethnologie an der Universität Basel und der LMU München. An der Universität Bonn, der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) sowie der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań hat sie Ethnologie und Kulturanthropologie studiert.
Während ihres wissenschaftlichen Volontariats am Völkerkundemuseum Herrnhut, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, war sie an dem Projekt „Sammlungen neu sichten“ des Deutschen Museumsbundes beteiligt. Zuvor arbeitete sie in der Vermittlung und Museumspädagogik im Museum im Alten Schloss Schleissheim, Bayerisches Nationalmuseum sowie am Forschungsinstitut des Deutschen Museums, München. Von 2015 bis 2018 war sie in der wissenschaftlichen Erschliessung im Fotoarchiv der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde in Basel tätig.