Das Volk produziert nicht, es reproduziert.

Eduard Hoffmann-Krayer

Eduard Hoffmann-Krayer (1864 – 1936)

gilt als "Vater der schweizerischen Volkskunde". Seine Geschichte ist stark mit dem Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie verknüpft. 1900 wurde Hoffmann-Krayer Professor für Phonetik, schweizerische Mundarten und Volkskunde an der Universität Basel und zwölf Jahre später erster Schweizer Ordinarius für Germanistik. Der gebürtiger Basler gründete im Jahre 1887 mit einigen Freunden die Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde. Internationale Beachtung erhielt Hoffmann-Krayer mit seinem 1902 publizierten Aufsatz "Die Volkskunde als Wissenschaft". Mehr über Hoffmann-Krayer und zur Geschichte der Volkskunde in Basel.

Geschichtlichkeit: Erinnerung, Fachgeschichte, Geschichtskultur

Im historisch orientierten kulturwissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt wird nach den Lebenswelten, dem Handeln, den Selbst- und Fremddeutungen und den Wertorientierungen von unterschiedlichen geschichtlichen Akteuren gefragt. Damit stellt sich der Forschungsschwerpunkt in die fachliche Tradition der historisch orientierten Volkskunde und erweitert diese gleichzeitig um neue kulturanthropologische Fragestellungen auf eine historisch gefasste Kulturanthropologie.

Wir interessieren uns für die vielfältige und oft umstrittene Präsenz von Vergangenheit in der Gegenwart, für die Repräsentationen des „Geschichtlichen“ und für die damit verbundenen Bedeutungskonstruktionen und Sinngebungsprozesse. Damit kommen auch gegenwärtige populärkulturelle Wissensformate über historische Lebenswelten sowie die damit verbundenen Identitätspolitiken in den Blick. Entlang von Gedächtnisorten, Erinnerungsfiguren, Museumsräumen lassen sich entsprechende Semantiken aufdecken; hierfür sind auch mediale Transfers und die Ästhetisierungen von kultureller Zeugenschaft des Vergangenen Gegenstand unseres Analysehandwerks.
Im Weiteren werden im Sinne einer Wissenschaftsgeschichte der eigenen Disziplin verschiedene ethnografische Wissenskulturen und ihre historischen Bedingtheiten befragt. Der Schwerpunkt nimmt methodische Herausforderungen in den Blick, die aus einer ethnografischen Perspektive auf die Vergangenheit und aus der zeitbedingten Abwesenheit der Beforschten entstehen. So befassen wir uns mit unterschiedlichen „Archiven“, aber auch verschiedenartigen „Texten“ als Dokumente kultureller Produktion, wie sie beispielsweise über Oral History entstehen. 
Theoretisch und methodisch verbindet der Schwerpunkt interdisziplinäre Forschungstraditionen wie die Historischen Anthropologie und Alltagsgeschichte, Forschungsansätze zu Geschichts- oder Erinnerungskultur, aber auch Ansätze wie die Historische Kulturanalyse und die Historische Ethnografie, mit denen er das kulturanalytische Instrumentarium teilt. Darüber hinaus ist der Dialog mit weiteren Disziplinen – wie beispielsweise Musik-, Medien-, Kunst- oder Literaturwissenschaft – für uns wertvoll, indem eine gemeinsame Befragung der Präsenz des Vergangen in unserer Gegenwart geteilt werden kann.

Verantwortlicher Ansprechpartner: Angela Bhend-Schaffner

Weitere Beteiligte: Eberhard Wolff, Konrad Kuhn, Claudia Willms, Sebastian Dümling

Abgeschlossene Forschungsprojekte

Das vorliegende Projekt hat den „Jüdischen Kulturraum Aargau“ im Sinne einer Reaktualisierung des materiellen und immateriellen Kulturerbes im Kanton Aargau als Wissensraum in der Gegenwart zum Gegenstand. Dieser Wissensraum soll in seiner Vielfalt unterschiedlichen Ansprechgruppen zugänglich gemacht werden. Dazu soll eine wissenschaftsbasierte Publikation bereit gestellt werden, die einerseits bestehende oder noch zu leistende Forschungen in einem Überblicksband vereint, andererseits mit einer gut sortierten Darstellung sich an ein allgemein gebildetes und interessiertes Publikum adressiert.

Bewusst zu halten ist, dass der Aargau nicht an der Kantonsgrenze aufhört. Der jüdische "Wissensraum Aargau" hat historisch und kulturell auch Bezüge in topografische wie imaginäre Räume ausserhalb des engeren Gebietes Aargau – mithin bis New York und Tel Aviv oder in Romanen und Bildern von Kulturschaffenden. Im Mittelpunkt steht indes auch der geografische Raum des Kantons.

Von erheblicher Bedeutung ist das Leitbild der Repräsentation: Es geht um die Koexistenz – genauer: das alltägliche Zusammenleben, die Konvivenz von Menschen aus jüdischen, christlichen und bürgerlichen Lebenswelten. Die Repräsentation von Konvivenz bezieht sich ebenso auf die dörflichen Untertanen in der Gemeinen Herrschaft der alten Eidgenossenschaft wie auch auf deren schrittweise Verbürgerlichung auf dem Weg in die Moderne. Diese Konvivenz wird unter anderem auch im geplanten Kapitel "Doppeltür" zum Ausdruck kommen, womit sich eine Vielzahl von lebensweltlichen Aspekten und Polyvalenzen einfassen lassen werden.

Das geplante Buch wird einen deutlich multidisziplinären Charakter erhalten. Beteiligt sein werden Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen wie Geschichte, Archäologie, Judaistik, Kunstgeschichte, Architekturgeschichte, Literaturwissenschaft, Musikwissenschaft, Kulturanthropologie und Sprachforschung.

Das Publikationskonzept geht von sechs Buchteilen aus. Eingesetzt wird als Auftakt mit einem gegenwartsorientierten Teil, der den Titel „Im Aargau, aus dem Aargau: Zeichen und Zeugen einer vielschichtigen Zeit“ trägt; am Ende wird dieser Bogen geschlossen, indem dieses nochmals zitiert und aufgenommen wird: „Jüdischer Kulturraum Aargau: Zeiten, Zeichen und Zeugen Reloaded“. Dazwischen werden Epochen und Zeiten mit thematisch entsprechenden Titeln aufgespannt, wissenschaftlich beleuchtet, inhaltlich problembewusst präsentiert und in Überblicken veranschaulicht, wofür vier Buchteile vorgesehen sind. Anhand unterschiedlicher Textformate, die unterschiedlichen Funktionen dienen, soll die Vielfalt des Sammelbandes auch in seiner formalen Struktur gewährleistet werden. Durch Überblickskapitel sollen historische Epochen als Ganzes vorgestellt werden, durch Themenüberblicke speziellere Fragen verständlich gemacht werden. Mit Streiflichter und Essays kommen besonders interessante Themen und Befunde in den Vordergrund. Schliesslich werden durch Porträts Menschen und individuelle Biografien, die auch Familienschicksale umfassen können, lebendig.

Projektleitung: Prof. Dr. Jacques Picard

Projektmanagement: Lic. phil. Angela Bhend

Projektdauer: Januar 2016 – Dezember 2018

Gefördert durch den Kanton Aargau, Swisslos-Fonds

 

Dr. Ulrike Langbein, Mag. Laura Hompesch

Das Forschungsprojekt wird in Zusammenarbeit mit dem Institut Experimentelle Design- und Medienkulturen der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW sowie dem Amt für Kultur, Archäologie und Museum Baselland durchgeführt.

Kooperationspartner_innen:

 

Pressespiegel Hanro-Sammlung:

Abgeschlossene Dissertationen

Mit dem Dissertationsprojekt ›Das Warenhaus in der Schweiz‹ soll ein weitgehend unbekanntes Stück Kulturgeschichte, die von einer jüdischen Minderheit massgeblich mitgeprägt und geschrieben wurde, und die sowohl Aspekte der Wirtschafts- und Migrationsgeschichte als auch der Sozial- und Architekturgeschichte vereint, thematisiert und aufgearbeitet werden.

Bereits 1882 wurde das Warenhaus vom französischen Schriftsteller Emile Zola als ›Palast‹, ›Tempel der Mode‹ und als ›Kathedrale des neuzeitlichen Handels‹ apostrophiert. Wie kaum etwas anderes symbolisieren diese sakral anmutenden Kaufhaus-Tempel die Folgen der Industrialisierung sowie der Urbanisierung und man kann sie zu Recht als Sinnbild der Moderne bezeichnen. Althergebrachte Handelsformen wurden revolutioniert, die Massenproduktion fand ihren Absatz und der Mensch als Konsument wurde geboren. Die bahnbrechende Idee, Waren aus aller Welt unter einem Dach zu vereinen, ging einher mit der Schaffung einer völlig neuen Gefühls- und Lebenswelt. Die Erfindung des Warenhauses war im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht nur Träger einer neuen Wirtschaftsidee sondern auch Träger einer umfassenden gesellschaftlichen Veränderung.

An der Schwelle zum 20. Jahrhundert erhielt auch die Schweiz ihre ersten Warenhäuser. Fremde Namen wie Julius Brann, Mandowsky, Pilz oder Knopf sind in Vergessenheit geraten, aber auch bekanntere Warenhausnamen wie Loeb, Epa und Manor sind grösstenteils unerforscht geblieben. Doch fremd waren nicht nur die Namen sondern auch die Akteure, die in dieser Geschichte die Hauptrollen besetzten und der Schweiz zu erfolgreichen Warenhäusern verhalfen. Gemäss Erwin Dennenbergs Studie von 1937 sind rund fünfzig Prozent aller Warenhäuser in der Schweiz auf jüdische Gründer zurückzuführen. Bis heute hat aber kaum jemand die Geschichte jener Pioniere, die zumeist aus dem Elsass oder dem süddeutschen Raum stammten, genauer erforscht oder untersucht.

Die Dissertation beschäftigt sich mit den deutsch-jüdischen Identitätskonstruktionen des Soziologen und Nationalökonomen Franz Oppenheimer, der als Begründer des Liberalen Sozialismus, als Theoretiker der Siedlungsgenossenschaft, als Doktorvater von Ludwig Erhard und als Zionist der ersten Generation bekannt geworden ist. 

Der Arbeit liegt die Methodik der biographischen Einzelfallanalyse zugrunde, wodurch - soweit möglich - die Integrität des historischen Subjekts gewahrt bleibt. Es wird eine chronologische Darstellung vorgenommen und darin alle in Bezug auf die Fragestellung relevanten Quellen (bspw. die Memoiren des Vaters, eine frühe Dichtung, der Antisemitismus in Oppenheimers Burschenschaft, die Hinwendung zum Sozialismus, der Text über Jüdische Siedlungen, Korrespondenz mit Zionisten, das Komitee für den Osten, die politischen Pläne zur Agrarreform, die Reaktion auf das Erstarken der Nationalsozialisten und die Auswanderungsbemühungen) dargestellt und aufeinander aufbauend analysiert. Durch die biographische Perspektive entsteht somit ein Überblick über die sozialen Netzwerke, historischen Strukturen und theoretischen Differenzen jener Zeit(en).

In der Dissertation wird sowohl das eigensinnige Theoriewerk als auch der öffentlichen Beitrag, den Franz Oppenheimer für die deutsche Gesellschaft und die jüdische Gemeinschaft geleistet hat, gewürdigt. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Frage, wie es Oppenheimer gelungen ist, das Spannungsverhältnis der von ihm betonten „Konfessionslosigkeit“ einerseits und der gleichermaßen von ihm hervorgehobenen „Stammeszugehörigkeit“ andererseits produktiv zu machen. Oppenheimer ist, so argumentiert der Text, als einer der Pioniere von Mehrfachzugehörigkeit zu verstehen: einem Identitätstypus, der sich erst unter den Bedingungen der Moderne entfalten konnte.

Betreuer der Cotutelles-de-thèse: Prof. Dr. Jacques Picard, Prof. Dr. Eberhard Wolff (Universität Basel), Prof. Dr. Klaus Lichtblau und Dr. habil. Peter Gostmann (Frankfurt a.M.)